Krieg und Frieden
Was macht Krieg mit den Menschen, die ihm ausgeliefert sind und welche Möglichkeiten haben Menschen aus der Zivilgesellschaft sich gegen Krieg zu stellen und Frieden zu ermöglichen?
Der afghanische Regisseur und Schriftsteller Atiq Rahimi schickt in seinem Spielfilm Erde und Asche (Frankreich, Afghanistan 2004, 97 Min.) den alten Dastaguir mit seinem fünfjährigen Enkel durch ein zerstörtes und zutiefst verunsichertes Land. Die Familie der beiden kam bei einem Bombenangriff der vermeintlichen Friedensbringer ums Leben, nun soll der Vater des Kleinen über den Verlust verständigt werden, der in einer Mine, weitab der Ereignisse arbeitet. Eine Reise ermöglicht es, Menschen aufeinandertreffen zu lassen, die sich normalerweise nicht begegnet wären: Der durch den Krieg zynisch gewordene Händler, der unwirsch seine Hilfsbereitschaft anbietet. Die Frau, die nicht mehr, die es die Tradition verlangt, auf den Schutz des Mannes – und die Unterordnung – bauen kann und deren Wissen um ihre Rolle aus den Fugen gerät. Auch sein nächster Film Stein der Geduld (Frankreich, Afghanistan 2013, 99 Min.) basiert auf seiner eigenen Romanvorlage. Eine Frau setzt sich an der Seite ihres vom Krieg tödlich verletzten Ehemannes mit den Verwerfungen auseinander die der Krieg bedeutet und fragt nach ihrer Zukunft als Frau in einer Welt, die sich durch Gewalt verändert.
In seinem Film Der Tod, die Waffen, das Schweigen. Das Oberndorf-Syndrom (Deutschland 2016, 60 Min.) fragt Autor Wolfgang Landgraeber, die Menschen in einer Stadt leben, deren Existenz seit Generationen auf der Herstellung von Waffen lebt. Die Stadt Oberndorf am Neckar ist Produktionsort von Heckler & Koch und Mauser (Rheinmetall), die Kriegswaffen in alle Welt liefern. Friedensaktivisten prangern seit Jahrzehnten Waffenexporte und deren unkontrollierte Weitergabe an. Ein kenianischer Arzt berichtet von den verheerenden Auswirkungen einer einzigen Kugel, die nicht zum Tode aber lebenslanger Versehrtheit führen kann. Die moralischen Fragen, die mit der Herstellung von Waffen verbunden ist, stellen sich an uns, in Oberndorf, Deutschland und Europa, die weiterhin nichts dafür tun, Rüstungsexport zu unterbinden.
Erst die Masse an Kleinwaffen die illegal existieren, ermöglichen es, Kinder als Soldaten zu rekrutieren und in Kriegen einzusetzen. Über die seelischen Folgen, mit denen sie in ihrem Leben zu kämpfen haben, berichtet eindrücklich der Film Ich habe getötet von Alice Schmid (Schweiz, Liberia 1999, 26 Min.). Dort kommen Jugendlichen zu Wort, die als Kinder kämpfen und töten mussten und es bleibt Raum für ihre Sprachlosigkeit. Auch der Film Lost Children von Ali Samadi Ahadi und Oliver Stoltz (Deutschland 2005, 98 Min.), der in den Jahren 2003/2004 in Uganda gedreht wurde und die Schicksale einiger Kinder im Konflikt zwischen ugandischen Regierungstruppen und den Rebellen der Lord’s Resistance Army (LRA) zeigt, widmet sich den Traumata der Kinder, die kämpfen mussten und nun in ein „normales“ Leben zurückfinden sollen.
Kinder als Opfer von Kriegen sind auch diejenigen, die sich mit den Lebensmöglichkeiten, die Zerstörung, Flucht und Exil ergeben, abfinden und arrangieren müssen. Ria ist sechs Jahre alt, als sie durch eine Mine, die in ungezählten Mengen über den Krieg hinaus Kambodscha zerstören, ihr Bein verloren. Ihr Traum, Tänzerin zu werden, ist damit für immer verloren. Alice Schmid zeigt in ihrem Film Briefe an Erwachsene (Schweiz, Kambodscha 1994, 53 Min.) aber ein tapferes Mädchen, das mit Unterstützung eines Journalisten diejenigen, die Kriege machen an ihre Verantwortung den Kindern gegenüber zu erinnern.
Susan Gluth gibt in ihrem Film Mit den Augen eines Flüchtlingskindes (Deutschland 2005, 59 Min.) zwei Mädchen eine Stimme, die aus dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Darfur im Sudan mit ihren Familien in ein Flüchtlingslager im Nachbarland Tschad geflohen sind. Die Mädchen erzählen vom Leben im Lager, der Aussichtlosigkeit und Verzweiflung, aber auch die Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat in Frieden.
Nachdem die kleine Amal bei einem Bombenangriff in Syrien ums Leben kam, bei dem ihre Brüder zum Teil schwer verletzt wurden, entschlossen sich die Eltern zur Flucht. In Merseburg findet die Familie ein neues Zuhause. Doch während die Mutter vor Angst um die Angehörigen in Syrien keinen Frieden findet, öffnen sich die Kinder langsam der neuen Umgebung und werfen neugierige Blicke in eine mögliche Zukunft (Amal von Caroline Reucker, Deutschland 2014, 55 Min.)
Die Traumata, die Menschen im Krieg erleben und sie voraussichtlich ein Leben lang begleiten, werden in zwei Filmen deutlich, die sich um den Israel-Palästina-Konflikt drehen, der die Region und darüber hinaus die Welt seit vielen Jahrzehnten in Atem hält. Waltz with Bashir (Ari Folman, 2008, 87 Min.) ist die erste filmische Graphic Novel – es ist die Geschichte selbst, für die es keine Bilder mehr gibt und die nur in dieser Form erzählt werden kann. Im Film geht es um die Geschichten von Soldaten, die immer wieder mit den schrecklichen Kriegsereignissen in den 80er Jahren konfrontiert sind und ihren eigenen Verstrickungen im Libanonkrieg. Die animierte Form ermöglicht hierbei die alptraumhaften Szenen, die den Autor selbst ebenfalls heimsuchen, Ausdruck zu verleihen.
To see if I’m Smiling – Um zu sehen ob ich lächle von Tamar Yarom (Israel 2007, 56 Min.) ist der Bericht von sieben israelischen ehemaligen Soldatinnen, die erstmals ihre Schuld an Kriegsverbrechen bekennen. Ob sie bei der Demütigung palästinensischer Gefangener gelächelt habe, das treibt eine junge Frau um, die nach den Ereignissen jeden Halt im Leben verloren hat. Die Aussicht jedoch, den Schrecken auszusprechen und zu teilen, vermag vielleicht eine schmale Hoffnung eröffnen.
Das Herz von Jenin (Marcus Vetter, Deutschland, Israel 2008, 89 Min.) erzählt die Geschichte von Ismael Khatib, dessen 12-jähriger Sohn Ahmed 2005 im Flüchtlingslager von Jenin von Kugeln israelischer Soldaten getroffen. Nachdem die Ärzte nur noch Ahmeds Tod feststellen können, entscheidet Ismael, die Organe seines Sohnes israelischen Kindern zu spenden und damit deren Leben zu retten. Zwei Jahre später begibt er sich auf eine Reise quer durch Israel, um diese Kinder zu besuchen. Eine schmerzhafte und zugleich befreiende Reise, denn der Einsatz des Vaters eröffnet neue Denk- und Handlungsmöglichkeiten in den Köpfen vieler.
Auch die Frauen, die sich in dem Film Zur Hölle mit dem Teufel (Gini Reticker, USA 2008, 60 Min.) vehement gegen den liberianischen Diktator Charles Taylor zur Wehr setzen, der das Land in einem blutigen Bürgerkrieg verstrickt hält, haben nur ihre Zivilcourage und ihre Gemeinschaft zum stark zu sein und etwas zu verändern. Und so gelingt es ihnen tatsächlich 2003 den Diktator zu stürzen und dazu beizutragen, dass mit Ellen Johnson Sirleaf die erste afrikanische Präsidentin überhaupt gewählt wird.
Knowledge is the Beginning – Daniel Barenboim und das West-Eastern Divan Orchestra (Paul Smaczny, Deutschland 2006, 115 Min.) zeigt, wie wichtig ein Umdenken in verfahrenen sprachlosen Situationen ist. „Wir müssen die Mauern in unseren Köpfen brechen und einander verstehen“, sagt ein junges Mädchen aus Ramallah. So ähnlich würde vermutlich auch der politisch engagierte Dirigent Daniel Barenboim sein Ziel beschreiben, der zusammen mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said 1999 das „West-Eastern Divan Orchestra“ für junge MusikerInnen aus Israel, den palästinensischen Autonomiegebieten, Libanon, Ägypten, Syrien und Jordanien gründete. Konflikte bei den Proben, gemeinsam verbrachte Freizeit und das Ergebis eines gemeinsamen Auftritts ist Ausdruck der Überzeugung Barenboims, dass Musik ist eine Kunst ist, die alle Grenzen überschreitet.
Angelus Novus – Reise ins Ungewisse heißt der Kurzspielfilm des jungen afghanischen Regisseurs Aboozar Amini (Großbritannien, Afghanistan, Niederlande 2015, 25 Min.), mit dem er seine Filmausbildung an der Londoner Filmschule abschloss. Erzählt wird die Geschichte von zwei Brüdern, die mit ihren Eltern auf der Flucht aus Afghanistan in der Türkei angekommen sind und die Weiterreise nach Deutschland auf den Spuren des Onkels planen. Die Kinder arbeiten nach der Schule als Schuhputzer bis sie erfahren, dass sich plötzlich ein anderer Junge auf ihrem Platz einrichtet. Sie vertreiben ihn mit Gewalt und zerstören sein bisschen Habe, das auch ihm das Überleben sichert. Doch sie müssen erfahren, dass der andere ihr Schicksal teilt und als Flüchtling aus Syrienversucht, in einem fremden Land anzukommen. Mit dem Titel seines Films spielt Aboozar Amini auf das Engelbild gleichen Namens von Paul Klee an, dem Walter Benjamin seine geschichtsphilosophische Betrachtung „Engel der Geschichte“ gewidmet hat. „Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Diesem Sturm sind – im übertragenen Sinne auch die Kinder ausgesetzt, an deren Schicksal wir im Film einen kurzen Moment teilen können. Von Schuld und Unschuld ist hier die Rede, von Ereignissen, auf die sie keinen Einfluss haben und die sie in eine ungewisse Zukunft treiben.
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