Kompetenz-, werte- und handlungsorientiertes Lernen

Wertekompetenz setzt ein ganzes Bündel an Fähigkeiten voraus, die im Globalen Lernen maßgeblich gefördert werden, wie Empathie und die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel zum Beispiel, beinhaltet aber auch Reflexions- und Urteilsfähigkeit, Konflikt- und Kooperationsfähigkeit. In pluralen Demokratien steht sie auch dafür, wie Menschen immer wieder in einen konstruktiven Austausch mit einander treten können.

Filme zu Themen des Globalen Südens bieten unzählige Möglichkeiten, in Austausch zu kommen, denn durch Bilder eröffnen sich ganze Welten an unbekannten Möglichkeiten, die aus der Beobachtung entstehen, die das Denken und Fühlen anregen, Entdeckungsfreude fördern und Irritationen aushalten. Das gilt für alle Altersgruppen, die lernen und entdecken wollen. Für Kinder und Jugendliche bietet sich die Gelegenheit, das Leben von Gleichaltrigen in anderen Teile der Welt erfahren zu können – von Peer zu Peer gewissermaßen – und die Bedeutung von PeerLearning ist ja gerade in diesen Altersgruppen nicht zu unterschätzen. Was erfährt man zwischen den Bildern? Welche Erfahrungen sind übertragbar, welche ganz anders und welche zumindest vorstellbar?

Teile ich die Motorradbegeisterung der jungen Pakistanerin Zenith und hätte ich ähnliche Widerstände zu überwinden wie sie, wenn ich mich auf den Weg machen will? Und wie sieht es mit der Surfbesessenheit der indischen Mädchen aus, die alles daran setzen bei der nächsten Meisterschaft dabei zu sein – auch wenn Aneesha aus der südindischen Stadt Mangalore den ganzen Ärger und Macht ihres Vaters zu spüren bekommt.

„Motorcycle Woman“, der Film der pakistanischen Filmemacherin Sabiha Sumar erzählt von Zeniths Motorradreise durch ihre pakistanische Heimat, beschreibt aber auch die Widersprüche, denen sie dabei ausgesetzt ist – denn sind nicht andere junge Frauen aus den ländlichen Regionen bei weitem nicht so privilegiert und viel stärker in den patriarchalen Strukturen befangen als sie selbst. Aber auch Zenith muss Kompromisse eingehen, denn sie musste versprechen, zu heiraten und ihr unabhängiges Leben aufzugeben, bevor sie 30 Jahre alt ist. Alles, was sie erlebt, verarbeitet die neugierige junge Frau in ihrem Vlog, eine andere Art, sich mit jungen Menschen auf der ganzen Welt in Verbindung zu setzen.

Auch die Auseinandersetzung mit den drei jungen Frauen aus der dokumentarischen Kurzserie „Chicks on Boards“ von Dörthe Eikelberg bieten vielfältige Möglichkeiten, Fremdes und Gleiches in ihren Lebensentwürfen, Hoffnungen und Ängsten zu entdecken und sich darüber auszutauschen. Was wäre ich bereit für meinen Lieblingssport zu opfern? Habe ich den Rückhalt in meiner Familie, bei meinen Freundinnen und Freunden, um an der Erfüllung meines Traums auch gegen Widerstände festzuhalten? Neben der jungen Inderin Aneesha, deren Vater die Familie verstoßen hat, weil er die sportlichen Ambitionen seiner Tochter und deren Unterstützung durch ihre Mutter ehrenrührig findet, kommt die Südafrikanerin Suthu zu Wort, die nicht nur die erste schwarze Frau in diesem von weißen Männern dominierten Elitesport in ihrem Land ist, sondern auch durch ihre Liebe zu einer Frau Diskriminierung erfährt. Und die Palästinenserin Saba aus Gaza lässt uns an ihrer Begeisterung für die Wellen teilhaben. Sie weiß, dass sie, wenn sie verheiratet ist, nie wieder wird surfen dürfen.

Auch die Liebe ist ein Thema, das verbindet und entzweit, aber in die Gefühle, die damit verbunden ist, kann sich jede und jeder doch in irgendeiner Weise einfinden. „Rafael“, der Film von Ben Sombogaart, erzählt eine solche Geschichte, in der es neben der Liebe auch um Flucht und die Fallstricke geht, eine legale Einreise aus einem afrikanischen Land zu ermöglichen. Die junge Holländerin Kimmy hat sich unsterblich in den Marokkaner Nazir verliebt und will, als sie erfährt, dass sie schwanger ist, mit ihm in die Niederlande zurückkehren. Doch der Arabische Frühling, der eine ganze Region Aufruhr versetzt hat und darüber hinaus Menschen bewegt und befeuert hat, sich für ihre Rechte einzusetzen, verhindert ihre gemeinsame Rückkehr. Nachdem der Versuch Nazirs, als illegaler Bootsflüchtling nach Europa zu kommen, scheitert, wobei sein Freund Rafael ums Leben kommt, strandet er bei einem zweiten Versuch auf der Insel Lampedusa. Doch Kimmy setzt mit ungeheurer Energie alle Hebel für ihr gemeinsames Leben als junge Familie in Bewegung und kann schließlich nicht nur ihre Mutter überzeugen, sich für sie einzusetzen, sondern findet auch behördliche Unterstützung. Was hättet ihr in einer ähnlichen Situation getan? Wofür und für wen lohnt sich ein solcher Einsatz? Kennt ihr die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und was erscheint euch daran wichtig? Und wenn Kimmy eure Freundin wäre, was hättet ihr ihr geraten?

Es gibt einige Filme, die auch für jüngere Kinder geeignet sind, Lebenswelten Gleichaltriger in anderen Kontinenten und Ländern zu entdecken. „Die kleine Verkäuferin der Sonne“ des senegalesischen Filmemachers Djibril Diop Mambety ist für Kinder ab 12 Jahren empfohlen und stellt das Mädchen Sili in den Mittelpunkt der Handlung. Sie ist durch Kinderlähmung gehbehindert, doch legt sie sich dennoch mit den Jungen an, wenn es darum geht sich einen Platz als Zeitungsverkäuferin des Blattes „Le Soleil – Die Sonne“ zu erstreiten. Mit Mut und Glück, Verantwortungsgefühl und dem Glauben an die Freundschaft gelingt es ihr, sich in schwierigen Bedingungen zu behaupten und ihren Weg zu finden. Neben der schön erzählten Geschichte erfahren Kinder mit ein bisschen Aufmerksamkeit viel über den Alltag in in einem afrikanischen Land und entdecken vielleicht für sich neue und ungewohnte Wege, wie Geschichten erzählt und in Bilder und Filmsprache übersetzt werden können.

Auch der Kurzspielfilm „Deweneti – Irgendwo in Afrika“ von Dyana Gaye kommt aus dem Senegal. Geeignet für Kinder ab zehn Jahren ist es hier der Straßenjunge Ousmane, der durch seine Stadt Dakar führt und sich mit viel Einfallsreichtum Pfiffigkeit durch den Tag kommt. So verspricht er den Menschen, die er um ein bisschen Kleingelt bittet, als Dank für sie zu beten und steigert sich, indem er ihre Wünsche und Bitten in einem Brief dem Weihnachtmann überbringen will. Aber auch er hat einen Wunsch – könnt ihr es schon erraten? Ab wann weiß man es?

Unter Coronabedingungen stellen die Evangelischen und Katholischen Medienzentralen viele Filme online mittlerweile auch für Klassenverbände zur Verfügung, so dass ein gemeinsames Filmesehen und Besprechen möglich ist. Erkundigen Sie sich unter www.medienzentralen.de. Aber auch Landesmedienzentren und Kreisbildstellen haben solche Angebote in ihren Zuständigkeiten.

Und noch ein Hinweis: Ganz hoffnungsvoll glauben wir an die Wiedereröffnung der Kinos und damit an gemeinschaftliche Filmerlebnisse und Filmgespräche, wie sie VisionKino auch in diesem Jahr während der Schulkinowochen wieder anbieten wird, ein wichtiger Schritt zur Filmbildung, die Lust am Sehen zu fördern und in Verbindung mit Globalem Lernen Neugierde und Empathie für das vermeintlich Ferne und Fremde zu erwecken.

Am 20. Mai soll dann auch der Film „Made in Bangladesh“ der Filmemacherin Rubaiyat Hossain aus Bangladesch im Kino startet. Erzählt wird die Geschichte der jungen Textilarbeiterin Shimu, die nach dem Tod ihrer Freundin bei einem Unfall in der Fabrik beginnt, sich Fragen zu stellen. Motiviert von einer jungen Aktivistin, mit der sich eine zaghafte Freundschaft entwickelt, stürzt sie sich voller Tatendrang und entsetzt von der Ungerechtigkeit, der sie und ihre Kolleginnen ausgesetzt sind, in die Gewerkschaftsarbeit und es gelingt ihr, auch andere Frauen für die Mitarbeit zu gewinnen. Doch während sie in ihrer Arbeit nach außen an Stärke gewinnt, ist sie zu Hause dem Willen ihres Mannes ausgesetzt. So findet sich Shimu im Konflikt gegen ihren Mann, der ihr verbieten will, weiterhin außerhalb des Hauses zu arbeiten und verlangt, dass sie sich verschleiert, und der Fabrikleitung, die sie wegen ihrer Gewerkschaftsarbeit zunehmend unter Druck setzt, wieder. Während ihrer Recherchen zu ihrem Film lernte Rubaiyat Hossain eine junge Gewerkschaftsführerin kennen, die ihr von ihrem Leben im Spannungsfeld zwischen schlechten Arbeitsbedingungen, patriarchalen Familienstrukturen und Islamisierung berichtete. In der Geschichte der Shimu spiegeln sich diese Erzählungen wider. Auch hier gibt es viele Anknüpfungspunkte für Schülerinnen und Schüler. Woher kommen unsere Kleider, welche Rolle spielen sie für uns? Wissen wir eigentlich wer sie genäht und produziert hat? Und weiterführend: welche Rolle kann das gerade verabschiedete Lieferkettengesetz bei der Verbesserung von Arbeitsbedingungen spielen? Führt es in der derzeitigen Form weit genug? Aber auch die Erzählung der Geschichte, die Farben, der Ton, die Darstellung der Enge in der Fabrik und den Wohnräumen und wie sich erst langsam der Blick Shimus nach außen öffnet, können einer genauen Betrachtung unterzogen werden. Der Kinostart, der unter anderem in Kooperation zwischen EZEF und der Kampagne für Saubere Kleidung / Clean Clothes Campaign Germany stattfindet, bietet Anlass für viele weiterführender Informationen (über die Arbeitsbedingungen von Textilarbeiterinnen unter Coronabedingungen zum Beispiel) und Aktionen (wie man selbst Mode machen, tauschen, upcyclen kann).

Das Titelbild stammt aus dem Film: „Motocycle Woman“ von Sabiha Sumar.