Kritischer Konsum

Das deutsche Lieferkettengesetz tritt ab Januar 2023 in Kraft und gilt zunächst für Firmen mit Sitz in Deutschland mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden. Ab 2024 gilt das Gesetz dann auch für Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden.  Das Gesetz fordert Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit in ihren Lieferketten. Ziel ist es, Sozialverträglichkeit und Nachhaltigkeit, sowie den Schutz grundlegender Menschenrechtstandards – wie das Verbot von Kinderarbeit – in globalen Lieferketten zu verbessern.

Gerade hat die Faire Woche mit dem Schwerpunkt Textilien in vielen Veranstaltungen und Projekten deutlich gemacht, welche Auswirkungen unser Konsumverhalten (oder unser Konsumverzicht, indem Recycling bzw. Upcycling eine neue Bedeutung bekommen) haben kann. Mit großer Resonanz wurde der Spielfilm „Made in Bangladesh“ von Rubayiat Hossain (2019, 95 Min.) gezeigt, der am Beispiel einer mutigen jungen Frau die katastrophalen Arbeitsbedingungen in einer Textilfabrik in Bangladesch lebendig werden lässt. So bietet der Film nicht nur Möglichkeiten, Einblicke in eine fremde und weit entfernte Lebenswelt zu erhalten, mit der wir über unser Bedürfnis nach schicker Kleidung doch eng verbunden sind, sondern legt auch den solidarischen Blick auf junge Frauen nahe, mit denen wir plötzlich so viel zu tun haben.

Denn „The True Cost – Der Preis der Mode“, so der Titel des 2015 erschienenen Films von Andrew Morgan, liegt weiter höher als das, was hier für ein Kleidungsstück gezahlt wird. Niedriglöhne, Umweltverschmutzung, lebensgefährliche Arbeitsbedingungen in maroden Fabrikgebäuden – wie die eingestürzte Fabrik Rana Plaza in Bangladesch – sind hier nicht eingepreist.

Davon berichtet auch der Film „Todschick – Die Schattenseite der Mode“ von Inge Altemeier und fragt, warum noch immer ArbeiterInnen in Billiglohnländern für die Produktion eines T-Shirts sterben müssen. Er stellt aber auch ein Gesetz aus Frankreich vor, nach dem europäische Unternehmen juristisch belangt werden können, wenn ihnen Menschenrechtsverletzungen in ihren Produktionsbetrieben nachgewiesen werden können. Diese Initiative mit vielen engagierten Menschen ist es, die maßgebliche Impulse auch für ein deutsches Lieferkettengesetzt bereitgestellt hat.

Mit den Lebensbedingungen in einem argentinischen Sweatshop befasst sich der kurze Spielfilm „Geheime Werkstätten“ von Catalina Molinas. Am Beispiel der jungen Bolivianerin Juana, die dort illegal für den Unterhalt ihrer Familie arbeitet, werden die sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen sichtbar – und das Dilemma vor dem sie steht, als sie erfährt, dass ihr kleiner Sohn krank ist. Da steht sie vor der Entscheidung, entweder sofort zurückzukehren oder auf den Lohn, der für seine Behandlungskosten nötig ist, zu verzichten.

Ein anderes Beispiel, bei dem kritischer Konsum gefragt ist, ist die Herstellung elektronischer Güter. Für Menschen und Umwelt gleichermaßen schädliche Arbeitsbedingungen sind zwar mittlerweile aus der Elektroindustrie geläufig, führen aber keineswegs zu einem verantwortungsvollen Handeln. Der Film „Death by Design“ von Sue Williams führt diese Verbindung eindrücklich am Beispiel der Produktionsbedingungen in Silicon Valley vor. Nachdem sich Gesundheitsschäden und Klagen dort nicht mehr ignorieren ließen, wurde die Produktion nach China verlagert – um dort die gleichen Schäden zu hinterlassen.

Auf die fatalen Folgen der Elektroindustrie gehen auch die Filme der DVD „Digital – Mobil – und fair?“ ein, in denen auf die Gewinnung der wichtigen Rohstoffe, die zum größten Teil aus Ländern des Globalen Südens kommen, hingewiesen wird. Lithium spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle – dies wird auch in dem Film „Die Lithium Revolution“ von Andreas Pichler und Julio Weiss thematisiert und steht im Mittelpunkt des kurzen Dokumentarfilms „Oro Blanco“ von Gisela Carbajal Rodríguez. Die Hochebene der Salinas Grandes in Argentinien birgt eines der größten Lithiumvorkommen der Welt. Um es abzubauen wird das letzte Süßwasser der Wüste benötigt und dafür von Konzernen in riesige Becken gepumpt. So bedroht der Rohstoffhunger der Batterieindustrie die Hirten und die traditionelle Salzgewinnung der indigenen Kolla und Atacama, deren Lebensgrundlage langsam schwindet.

Milo Rau bringt in seinem Film „Das Kongo Tribunal“ den unersättlichen Rohstoffhunger der Industrienationen auf den Punkt. Der Film durchleuchtet anhand eines Tribunals im Ostkongo (Mai 2015) und in Berlin (Juni 2015) die Gründe und Hintergründe für den seit bald 20 Jahren andauernden Krieg im Gebiet der Großen Seen. Dabei entsteht ein erschütterndes und analytisch tiefgründiges Tableau der neokolonialen Weltordnung, in deren Mittelpunkt nach wie vor die Ausbeutung der Ressourcen auf Kosten von Natur und Menschen, jetzt aber unter globalisierten Bedingungen.

Kritischer Konsum hört bei der Frage nach der Entsorgung der verbrauchten Güter nicht auf. „Welcome to Sodom“, so der bezeichnende Titel des Films von Florian Weigensamer und Christian Krönes, der damit auf Agbogbloshie, Teil der Millionenmetropole Accra, anspielt. Dort befindet sich mit einer der größten Elektro-Müllhalden der Erde auch eines der verseuchtesten und giftigsten Gebiete weltweit. Rund 250.000 Tonnen ausrangierte Computer, Smartphones, Drucker und andere technische Geräte gelangen Jahr für Jahr hierher, vieles davon illegal von Europa und anderen Ländern nach Ghana verschifft, um für einen Hungerlohn und unter hohen gesundheitlichen Risiken recycelt zu werden.

Die Kompilations-DVD „Filme zum Wegwerfen“ greift in neun kurzen Filmen verschiedene Aspekte von Müll und Recycling auf. Kinder die vom Müllsammeln leben („Marlen, la Cartonera“ von Maria Goinda), europäische Altkleider, die auf Märkten in einigen afrikanischen Ländern einheimische Textilproduktion vernichten („Mitumba, Second Hand Kleider auf Reisen“ von Raffaele Brunetti) oder Plastikmüll, der zunehmend eine Gefahr für die Weltmeere wird („Plastik über alles“ von Ian Connacher) sind Teil der DVD.

Der Gefahr, die in der ungebremsten Verteilung von Plastik in den Meeren liegt, folgt der Film „The North Drift – Plastik in Strömen“ auf, der am 27.10.2022 seinen bundesweiten Kinostart hat. Regisseur Steffen Krones fragt sich, wie eine deutsche Bierflasche an einer unbewohnten norwegischen Insel angeschwemmt werden kann und macht sich mit Hilfe von Wissenschaftlern auf die filmische Reise, um den Weg des Plastikmülls von der Elbe in die nördlichen Meere zu verfolgen.

Mittlerweile führen die knappen Gasreserven in Deutschland zur Verpflichtung eines sparsamen Energieverbrauchs, der in vielen Ländern alternativlose Realität ist. Der Film „Black out“ von Eva Weber führt nach Conakry, der Hauptstadt des westafrikanischen Landes Guinea. Dort müssen SchülerInnen aus den ärmeren Stadtvierteln am Abend zu öffentlichen Orten aufbrechen, um dort lernen zu können, denn zuhause haben sie keinen Strom. Deshalb suchen sie gut beleuchtete Orte auf, wozu Tankstellen, aber auch der Flughafen oder die Stadtviertel der Wohlhabenden zählen, denn dort gibt es auch eine Straßenbeleuchtung.

Vor 13 Jahren wurde vor Ghanas Westküste ein neues Ölfeld entdeckt. In der Langzeitdokumentation „Oil Promises – Ghanas Traum von Schwarzen Gold“ begleiten Elke Sasse und Andrea Stäritz zehn Jahre lang die BewohnerInnen von drei Fischerdörfern in den von den Entwicklungen besonders betroffenen Region. Die Animationskünstlerin Ebele Okoye ergänzt die dokumentarischen Aufnahmen durch Animationen und einen persönlichen Kommentar aus der Perspektive der kritischen Beobachterin aus dem von fehlgeleiteter Ölproduktion besonders betroffenen Nachbarland Nigeria. Dem Dorfvorsteher Togbe Madugo kamen schon früh Zweifel an den großen Versprechen, denn das Land, auf dem sein Fischerdorf liegt, wurde für das geplante Luxus-Hotel „Princes Town Resort“ ohne die Zustimmung der Bevölkerung verkauft. 2012 wurde zwar das Gelände für die neue Gas-Aufbereitungsanlage geebnet, doch erhielt das chinesische Unternehmen Sinopec den Auftrag, die Onshore-Pipelines und die Gasfabrik zu bauen. Sie brachten ihre eigenen Arbeiter mit, so dass auch die versprochenen Arbeitsplätze hinfällig wurden. Der Strand von Togbe Madugos Dorf ist inzwischen nicht nur von Algen, sondern auch von Müll übersät. Denn der Abfall der Bohrinseln wandert über das Meer direkt zu ihnen. Diese Bilder kannte Bundeskanzler Olaf Scholz hoffentlich, als er Ende Mai bei seiner ersten Afrika-Reise dem Senegal eine Kooperation nicht nur beim Ausbau erneuerbarer Energien, sondern auch bei der Ausbeutung von Gasvorkommen angeboten hatte (Die Zeit 32/2022).

Titelfoto: aus dem Film: „Geheime Werkstätten“ von Catalina Molinas