Krieg und Frieden

Zum Auftakt einer internationalen Syrien-Geberkonferenz in Brüssel am 10.05.2022 mahnte UN-Generalkommissar Philippe Lazzarini, die unter dem seit elf Jahren andauernden Konflikt in Syrien lebenden Menschen nicht zu vergessen. Der Krieg in der Ukraine hat auch andere Kriege und bewaffnete Konflikte, bei denen, wie in Palästina, Afghanistan, Jemen, Myanmar, Sudan, Äthiopien … zum Teil seit Jahrzehnten Menschen getötet, verletzt, zur Flucht gezwungen, ihrer Habe beraubt und traumatisiert werden, in den Hintergrund gedrängt – und gleichzeitig auf die Aufforderung, genau hinzuschauen, was geschieht.

Seit dem Beginn der Aufstände, begleitet die syrische Filmemacherin Waad al-Kateab, Hoffnung, Zerstörung und Chaos in ihrer Heimatstadt Aleppo. Als ihre Tochter Sama geboren wird, beschließt sie, das Erlebte in einem filmischen Brief an sie zu verdichten, indem sie den Alltag in der Klinik, in der ihr Mann und Vater von Sama arbeitet, die Sorgen und die Verzweiflung, wenn weitere Verletzte gebracht werden, aber auch die Solidarität unter den MitarbeiterInnen und die Veränderungen, denen sie alle ausgesetzt sind, mit ihrer subjektiven Kamera festhält (Für Sama“. Waad al-Kateab, Edward Watts 2019, 95 Min.)

Auch der litauische Regisseur Mantas Kvedaravicius hält die Zerstörung einer Stadt mit der Kamera fest. Heute ist Mariupol, an der Mündung des Kalmius gelegen und mit rund 500.000 Einwohnern, weitestgehend zerstört. Die BewohnerInnen wehrten sich schon 2015 gegen die kriegerische Übernahme. „Mariupolis“ (Frankreich, Deutschland, Litauen 2016, 80 Min – der Film steht für die private Sichtung noch in der arte-Mediathek zur Verfügung) ist das Portrait einer Stadt in der Krise und der Menschen, die versuchen, ihren Alltag und ihre Arbeit in dem riesigen Stahlwerk, von dem heute nur noch Ruinen übrig sind, aufrecht zu erhalten. Nach Ausbruch neuer Kampfhandlungen wollte Kvedaravicius offenbar eine Fortsetzung drehen. Er kam am 02.04.2022 in Mariupol ums Leben.

In ihrem für den Grimme-Preis nominierte Film „Jemen: Die Mütter der Entführten“ gibt Filmemacherin Sabrina Proske (Deutschland 2021, 60 Min.) Frauen des jemenitischen Vereins „Mutter der Entführten“ die Möglichkeit, ihre Aktionen und nachdenklichen Reflexionen über ihr Leben in einem kriegszerstörten Land, selbst zu filmen. Ausgangspunkt war für sie die Notwendigkeit, den Frauen, denen es nicht erlaubt ist, sich öffentlich zu äußern, eine Stimme zu geben, denn als Filmemacherin konnte sie nicht selbst in den Jemen reisen. Seit Jahren schon kämpfen die Frauen um die Freilassung ihrer Väter, Brüder und Söhne, die während des Krieges entführt wurden und von denen zum Teil jede Spur fehlt. Durch die Nähe zu den Protagonistinnen wird die Dringlichkeit zu handeln deutlich. Die Männer, die endlich befreit werden können, leben weiter in ihren Familien mit dem Trauma des Krieges. (Der Film erscheint demnächst bei EZEF für die Bildungsarbeit).

Anfang 2012 wurde die nordmalische Stadt Gao von dschihadistischen Gruppen besetzt. Mit Waffengewalt forderten sie die Einführung der Scharia und die Teilung des Landes. Sofort organisiert sich erbitterter Widerstand gegen die Besatzer, der hauptsächlich von jungen Leuten getragen wurde. Sie stellten Bürgerwehren und Nachtwachen zum Schutze ihrer Familien auf, führten Demonstrationen und klandestine Treffen durch und konnten mit ihrem zivilgesellschaftlichen Engagement die Islamisten letztlich aus Gao vertreiben. In seinem Film „Gao, Widerstand eines Volkes“ zeigt Kassim Sanogo (Frankreich, Mali 2018, 56 Min.) das lebendige Bild einer Stadtgesellschaft, die sich aktiv für einen liberalen Islam einsetzt und sich einer fundamentalistischen Übernahme widersetzen konnte. Der umstrittene UN-Einsatz in Mali steht nach dem Ausstieg Frankreichs im Februar 2022 trotz der Mittelerhöhung durch die deutsche Bundeswehr erneut auf dem Prüfstand.

„Erde und Asche“: Das ist, was in Afghanistan nach jahrzehntelangem Kriegsgeschehen übrigbleibt. In seinem gleichnamigen Spielfilm begleitet Regisseur Atiq Rahimi (Afghanistan, Frankreich 2004, 97 Min.) einen alten Mann, der mit seinem fünfjährigen Enkel auf dem Weg zu seinem Sohn ist, der in einem weit entfernten Bergwerk arbeitet. Er wird ihm berichten, dass sein Heimatdorf einem Anschlag zum Opfer gefallen ist und alle – bis auf Vater und Sohn, die vor ihm stehen werden – getötet wurden.

Die Verletzungen und Traumata, die Kriege hinterlassen, bleiben manchmal ein Leben lang, manchmal über mehrere Generationen hinweg.
Als sich Joe unter dem Eindruck der Terroranschläge des 11. September entschließt, zum US-Militär zu gehen, ist er 17 Jahre alt. Schon kurze Zeit später, mittlerweile wird er Joe Boots genannt, schickt man ihn zum Einsatz in den Irak. Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt Pittsburgh muss er feststellen, dass ihn seine Erfahrungen im Krieg nicht mehr loslassen. Joe erzählt, wie er die Kontrolle über sein Leben verliert und vergeblich nach Hilfe sucht. Denn seine Wunden sind unsichtbar. („Joe Boots“. Florian Baron, Deutschland 2017, 28 Min.)

Die traumatischen Erlebnisse ihrer Zeit beim Militär lassen auch sechs junge israelische Soldatinnen nicht los. Mit großer, oft schockierender Offenheit teilen sie vor der Kamera ihre Erlebnisse während ihres zweijährigen Einsatzes, den sie im Gazastreifen, der Westbank und den Golanhöhen geleistet haben. Sie sprechen über die an den Palästinensern verübten Grausamkeiten, die sie gesehen oder an denen sie beteiligt waren, über ihre moralischen Zweifel und über den rüden Umgang ihrer männlichen Kollegen mit ihnen als Frauen. Was sie erlebten, hat diese jungen Frauen zutiefst geprägt und verändert. „To see if I’m Smiling“, der Titel des Films von Tamar Yarom (Israel 2007, 60 Min.) greift die Sorge einer der Frauen auf. Sie will sehen, ob sie auf den Fotos gelächelt hat und sich vielleicht selbst als herzloses Monster erkennen muss. Die Interviews machen deutlich, wie die tägliche, kriegerische Auseinandersetzung die Frauen auch Monate und Jahre später nicht loslässt. Die 2004 gegründete Organisation Breaking the Silence greift diese Ängste auf und gibt ihnen einen öffentlichen Raum, so wie er für viele Soldatinnen und Soldaten aus allen Kriegsgebieten vielleicht eine Chance öffnen könnte. https://www.breakingthesilence.org.il/

Arlette war fünf Jahre alt, als sie im Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik von einer Kugel getroffen wurde. Seitdem begleiteten sie die Schmerzen, denn die Wunde heilt mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht. Zehn Jahr später erklärt sich eine Schweizer Familie bereit, die Behandlungskosten zu übernehmen. Auslöser war der Film „Carte Blanche“ von Heidi Specogna, in dem die Filmemacherin die Arbeit des Internationalen Gerichtshof in dem von Konflikten geschädigten Land beobachtet. Darin taucht das vor Schmerz schreiende kleine Mädchen Arlette auf, das in einem Hof von ihrer Mutter behandelt wird. Arlette ist 15 Jahre alt, als sie ihre Heimat zum ersten Mal verlässt und in ein Flugzeug nach Deutschland steigt. Florian Hofmann begleitet sie in seinem Film „Arlette, Mut ist ein Muskel“ (Schweiz 2015, 53 Min.) auf ihrem Weg zur Heilung. Die körperlichen Schmerzen können schnell überwunden werden. Angst und Sorge um die Familie bleiben.

Der Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik ist auch Thema des Films „Cahier Africain“ (Deutschland, Schweiz 2016, 119 Min.) in dem Heidi Specogna drei Frauenleben im Krieg begleitet und in einem ruhigen Portrait zusammenführt. Das titelgebende Heft, das dem Internationalen Gerichtshof vorliegt, sind die Zeugenaussagen von 300 Frauen aufgenommen, die unter dem Krieg zum Teil extreme Situationen erleiden mussten. Amzine ist eine von ihnen. Sie hat als Folge der Vergewaltigungen ein Kind zur Welt gebracht. Der Blick auf ihre heute zwölfjährige Tochter Fane erinnert sie täglich an das dem Heft anvertraute Leid. Arlette ist nach ihrer Operation in Berlin schmerzfrei. Doch während in Den Haag noch die juristische Aufarbeitung der letzten Kriegsverbrechen in Gange ist, bricht in der Zentralafrikanischen Republik der nächste Krieg aus und stellt neue Herausforderungen an die Bewältigung des ohnehin schwierigen Alltags.

Angst und Verzweiflung prägen auch das Leben von Pero, die den Überfall von Islamisten auf ihr jesidisches Dorf zwar überlebt, jedoch verschleppt wird und erst Monate später tief traumatisiert zu ihrer Familie zurückkehrt. Hussein Hassans Spielfilm „Reseba – The Dark Wind“ (Autonome Region Kurdistan, Deutschland, Katar 2016, 89 Min.) stellt das Leiden und die Traumata des jesidischen Volkes ins Zentrum seines Films. Mit allen Mitteln versucht Reko, seine junge Verlobte zurück ins Leben zu begleiten. Doch die Zukunft bleibt ungewiss. Der Film thematisiert die kaum vorstellbare Not von Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt in Kriegen werden – hier ist es die Aggression des sogenannten Islamischen Staates, der einen Genozid an den Jesiden plante. Aber die Botschaft des Films lässt sich auch auf andere Konflikte übertragen, sei es in Ruanda, im Jugoslawienkrieg, im Ost-Kongo oder der Zentralafrikanischen Republik.

Kein Krieg ohne Waffen. Schon in seinen Dokumentarfilmen „Fern vom Krieg“ und „Südfrüchte aus Oberndorf“ hat sich Wolfgang Landgraeber 1983, auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung, mit der Waffenproduktion von Heckler & Koch im schwäbischen Oberndorf auseinandergesetzt. Auch in seinem Film „Der Tod, die Waffen, das Schweigen – Das Oberndorf-Syndrom“ (Deutschland 2016, 60 Min.) beschäftigt ihn die Frage, wie Menschen in einer Stadt leben, in der viele seit Generationen Kriegswaffen hergestellt werden. Sein Film blendet auch Bilder von Kriegsschauplätzen im Nahen Osten, in Afrika und auf dem Balkan ein. Dort wurde und wird mit Heckler & Koch-Waffen gekämpft. Und wenn die Kriege beendet sind werden diese Waffen gerne weiterverkauft und oft noch jahrzehntelang militärisch oder von Kriminellen genutzt. Eine gebrauchte Waffe kostet oft nicht mehr als 100 Dollar, doch sie verleiht ihren Besitzern große Macht. Ein kenianischer Chirurg berichtet im Film von seinem unermüdlichen Einsatz gegen Schussverletzungen und deren Folgen, die häufig von Heckler & Koch-Waffen herrühren.

Agel Ring Machar war als Kindersoldat im Südsudan rekrutiert worden, bevor er fliehen und nach Südafrika gehen konnte. Als das Land 2011 unabhängig wurde, wollte er den Wiederaufbau unterstützen und kehrte als Leiter von Entwicklungshilfeprojekten und Trainer des jungen Basketball-Nationalteams zurück. Florian Schewe und Katharina von Schroeder begleiten ihn in ihrem Film „Wir waren Rebellen“ (Deutschland 2013, 93 Min.) zwei Jahre lang auf dem schwierigen Weg des Friedens. Doch die Situation spitzt sich erneut zu, der fragile junge Staat und die Unabhängigkeit sind gefährdet, ein Konflikt, der bis heute andauert.

Titelfoto: aus dem Film „Für Sama“ von Waad al-Kateab und Edward Watts, Matthias-Film. Kinoverleih: Filmperlen