Geschlechtergleichstellung (SDG 5)
(*) Ziel 5 der Social Development Goals beschäftigt sich mit der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen, um die tief verwurzelte und vielfältige geschlechtsspezifische Diskriminierung zu bekämpfen. Hintergrund ist, dass die Stärkung und Beteiligung von Frauen und Mädchen eine Hebelwirkung auf Wirtschaftswachstum und Entwicklung hat und dadurch nicht nur gerecht, sondern gleichzeitig in ökonomischer und sozialer Hinsicht unverzichtbar ist. Gleichstellung ist nur möglich, wenn Frauen und Mädchen nicht länger geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt sind, wenn sie Bildungschancen haben und nutzen können, wenn Zugang zu Gesundheitssystemen gewährleistet ist und sie in sozialer und ökonomischer Hinsicht gleichgestellt sind. Der Internationaler Tag des Mädchens am 11. Oktober will zudem auf die besondere Verletzlichkeit von Mädchen aufmerksam machen.
„In den vergangenen 25 Jahren war der Fortschritt langsam, und wir sind es leid, darüber zu reden. Wir wollen Tempo, großes Tempo. Und wir wollen sicherstellen, dass wir, wenn wir das Jahr 2030 erreichen, einen Unterschied gemacht haben“, so Phumzile Mlambo-Ngcuka, bis 2021 Generaldirektorin der Frauenorganisation der Vereinten Nationen.
Filmemacherinnen überall auf der Welt stellen Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten. Ihre Erfahrungen und ihr Ringen um ein selbstbestimmtes Leben in Würde prägen die vielstimmigen Erzählungen. Dabei sind es die Aufbrüche und Ausbrüche aus vorgegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen, die die Kraft von Frauen überall auf der Welt in vielfältigen Facetten spiegeln.
Shimu arbeitet in einer Textilfabrik in Dhaka. Die katastrophalen Arbeitsbedingungen motivieren sie, sich für die Gründung einer Gewerkschaft einzusetzen. Trotz der Repressionen durch ihre Arbeitsgeber und ihren Ehemann gibt Shimu nicht auf. In ihrem ersten Spielfilm „Made in Bangladesh“, der auf der Lebensgeschichte einer jungen Textilarbeiterin basiert, kreist Regisseurin Rubaiyat Hossain (Frankreich, Bangladesch, Dänemark, Portugal 2019, 95 Min.) um die komplexen Arbeits- und Lebensbedingungen von Frauen im Spannungsfeld zwischen patriarchalen Strukturen, Mangel an Ausbildungsmöglichkeiten, dem Stadt-Land-Gefälle und religiösem Fundamentalismus und zeigt eine junge Frau, die sich trotz vieler Widerstände nicht entmutigen lässt.
Als die elfjährige Maroa in einem Heim für straffällige gewordene Kinder und Jugendliche in der venezolanischen Hauptstadt Caracas den Musiklehrer Joaquin kennen lernt, entdeckt das Mädchen, das weder lesen noch schreiben kann, die Liebe zur Musik. „Maroa“, Spielfilm von Solveig Hoogesteijn (Venezuela 2005, 93 Min.) erzählt die erstaunliche Geschichte eines Mädchens, dass sich dem vorgegebenen Weg aus Kleinkriminalität, Drogen und Prostitution zu widersetzen lernt.
Auch das Mädchen „Rain“ hat das Glück, durch eine Lehrerin gefördert zu werden. Nach dem Tod der Großmutter soll sie zu ihrer Mutter in die Hauptstadt der Bahamas ziehen. Doch sie ist drogenabhängig und lebt unter prekären Bedingungen. Regisseurin Maria Govan von den Bahamas (Bahamas 2008, 93 Min,) erzählt behutsam die Geschichte eines Mädchens, das durch ihre Freude am Laufen neuen Halt und Unterstützung erfährt.
Zwei junge Frauen vom Lande werden mit falschen Versprechungen nach Buenos Aires gelockt und dort zur Prostitution gezwungen. Der Spielfilm „Die Fliegen in der Asche“ der argentinischen Regisseurin Gabriela David (Argentinien 2010, 98 Min.) erzählt nicht nur von der Gewalt und dem Schweigen und die Ignoranz der Gesellschaft, das die jungen Frauen umgibt, sondern auch von Freundschaft und Solidarität, die ihnen schließlich das Leben retten wird.
Fünf mutige, kluge und selbstbewusste Frauen stehen im Zentrum von Barbara Millers Dokumentarfilm „Female Pleasure“ (Schweiz, Deutschland 2018, 95 Min.). Sie brechen das Tabu des Schweigens und der Scham, das ihnen die Gesellschaft oder ihre religiösen Gemeinschaften mit ihren archaisch-patriarchalen Strukturen auferlegen. Mit Energie und Kraft setzen sich Deborah Feldman, Leyla Hussein, Rokudenashiko, Doris Wagner und Vithika Yadav für Selbstbestimmung aller Frauen ein und werden dafür diffamiert, verstoßen und von Religionsführern und fanatischen Gläubigen sogar mit dem Tod bedroht. Der Film schildert mit viel Empathie, wie universell die Mechanismen sind, die die Situation von Frauen – egal in welcher Gesellschaftsform – bis heute bestimmen. Gleichzeitig zeigen uns die fünf Protagonistinnen, wie man mit Mut, Kraft und Lebensfreude jede Struktur verändern kann.
Die regierungskritische Enthüllungsjournalistin und Nachrichtensprecherin Carmen Aristegui ist eine der wenigen Stimmen Mexikos, die sich nicht zum Schweigen bringen lässt. 2015 wurden sie und ihr Team von dem Radiosender MVS entlassen und verklagt, nachdem sie über die Verwicklung der Präsidentenfamilien Peña Nieto in einen Immobilienskandal berichtet hatten. In ihrem Dokumentarfilm „Silence Radio“ (Mexiko, Schweiz 2019, 78 Min.) begleitet Filmemacherin Juliana Fanjul die kritische Journalistin auf ihrem schwierigen und gefährlichen Weg, sich mit ihrem neuen unabhängigen Internetkanal „Aristegui Noticias“ weiterhin an eine kritische Öffentlichkeit zu wenden.
Die Kurdin Hala hat den Euphrat überquert, um einer Zwangsverheiratung zu entgehen. Das ostsyrische kurdische Autonomiegebiet Rojava steht für Basisdemokratie, feministische Politik und den Kampf gegen den IS. In ihrem Dokumentarfilm „The Other Side oft he River – No Women No Revolution“ begleitet Regisseurin Antonia Kilian (Deutschland, Finnland 2021, 92 Min.) die junge Frau, die sich einer bewaffneten Fraueneinheit anschließt, auf ihrem schwierigen und immer wieder von Sehnsucht nach der Familie und den zurückgelassenen Schwestern geprägten Weg.
Toussa und Emodji, die Eine Rapperin in Dakar, die Andere Wrestlerin im südlichen Senegal, verbindet ihr unbedingter Wunsch nach Unabhängigkeit in einer männerdominierten Gesellschaft. Der Dokumentarfilm „Mane“ (das bedeutet: Ich in der Sprache der Wolof) von Sandra Krampelhuber (Österreich, Senegal 2020, 55 Min.) begleitet die beiden Frauen, die ganz unterschiedliche Ausdrucksformen für ihren Aufbruch finden, bei ihrem Ringen um Präsenz in der Gesellschaft.
Seit ihrem ersten mehrfach ausgezeichneten Spielfilm „Ayeshas Schweigen“ (Indien, Pakistan 2003, 99 Min.), den sie als erste Frau in Pakistan verwirklichen konnte, befasst sich die Regisseurin Sabiha Sumar mit Themen von Frauen im indischen Subkontinent. Die Teilung Indiens, die mit der Unabhängigkeit des Landes im August 1947 (sie jährt sich in diesem Jahr zum 75.Mal) verbunden ist, war für Millionen von Menschen auf indischer und pakistanischer Seite mit Flucht, Vertreibung und Tod verbunden. Ayesha lebt mit ihrem Sohn ein zurückgezogenes Leben im ländlichen Pakistan, als die Ankunft von Sikh-Pilgern, die nach Jahren des Reiseverbots ein bedeutendes Heiligtum besuchen wollen, schmerzhafte Erinnerungen wachrufen. In den von Unruhen erschütterten Zeiten der Teilung verlangten die Familien von ihren Töchtern, sich in den Brunnen stürzten um ihre Ehre zu retten. Ayesha verweigerte sich und wechselte sowohl Identität als auch Religion, um zu überleben, mit tiefgreifenden Folgen.
Zenith Irfan ist leidenschaftliche Motorradfahrerin, in Pakistan ein außergewöhnliches Hobby für eine Frau. Im Sommer bricht sie auf, um ihre Heimat zu erkunden und das Leben von Frauen in anderen Regionen des Landes kennenzulernen. Sabiha Sumar begleitet sie für ihren Film „Motorcycle Woman“ (Pakistan, Deutschland 2019, 35 Min. OmU) auf ihrer Reise, auf der sie viel über das Land erfährt aber auch über die ihr zugewiesene Rolle als junge gebildete Frau der pakistanischen Mittelschicht.
Von den Problemen, sich in einem männerdominierten Sport durchzusetzen, davon wissen die drei jungen Frauen aus Indien, Südafrika und Palästina mehr als ihnen lieb ist. Sie surfen leidenschaftlich gerne, doch ist der Sport in ihren Heimatländern für Frauen keine Selbstverständlichkeit. In drei Folgen ihrer dokumentarischen Reihe „Chicks on Boards – das Meer kennt keine Grenzen“ begleitet Filmemacherin und Surferin Dörte Eickelberg (Deutschland 2017, 3 x 26 Min.) sie in ihrem jeweils unterschiedlichen Lebensumfeld um zu erfahren, was sie auf sich nehmen müssen, um allen Widerständen zum Trotz auf den Brettern glücklich zu werden.
Eine ganz besondere Form, ihrem Unbehagen an der patriarchal geprägten Gesellschaft Ausdruck zu verleihen wählt die tunesische Regisseurin Kaouther Ben Hania. Ihren Film „Le Challat de Tunis – Das Phantom von Tunis“ (Tunesien, Frankreich 2014, 90 Min.) legt sie als Mockumentary an, eine Mischform aus dokumentarischen und erfundenen Szenen, um Ereignisse zu parodieren und beim Publikum ein stärkeres medienkritisches Bewusstsein zu wecken. In ihrem Mockumentary greift Kaouther Ben Hania ein Ereignis auf, das 2003 Tunis in Aufregung versetzte. Ein vermeintlicher Schlitzer war unterwegs, um angeblich unzüchtig gekleidete Frauen mit einer Rasierklinge zu verletzen. Doch was ist dran an der Geschichte und war Resultat der Fantasie einer Gesellschaft, die sich über die „Anständigkeit“ ihrer Frauen definiert?
* Titelfoto: Die Ringerin Emodj aus dem Film „Mane“ von Sandra Krampelhuber