Kino als Lernort Globalen Lernens
Auch wenn sich Trägermaterialien und Zugänge verändert haben: Film ist nach wie vor Leitmedium unserer Zeit. Umso wichtiger ist es, zu verstehen, wie Filme „funktionieren“, warum sie uns berühren, ängstigen oder unterhalten. Oder wie sich die kulturellen Hintergründe der Filmschaffenden in den Bildern und Geschichten, die sie erzählen, manifestieren.
Das Projekt „Lernort Kino. Bundesweite Schul-Film-Woche“ / ww.lernort-kino.de hat sich zur Aufgabe gesetzt, Film-Bildung im deutschen Bildungssystem zu etablieren. Auf der Grundlage der Lehrpläne werden ausgewählte Filme für alle Altersstufen in vier Kategorien angeboten: themenbezogene Filme, Literaturverfilmungen, Filme in Originalsprache und große deutsche Filmklassiker.
VISION KINO, eine gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung der Film- und Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen, die von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Filmförderungsanstalt, der Stiftung Deutsche Kinemathek und der Kino macht Schule GbR unterstützt wird, führt vom 03.-05.12.2014 seinen 6. Kongress zum Thema „Film–Kompetenz–Bildung“ in Köln durch. Die bundesweit ausgerichtete Veranstaltung möchte insbesondere die Bedeutung der Filmbildung junger Menschen in einer digitalen Medienwelt diskutieren. Im Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Bildung stehen Fragen im Mittelpunkt, wie Filme und audiovisuelle Medien jungen Menschen Geschichte auf innovative Weise vermitteln können, welche Bedeutung fremdsprachliche Film für den interkulturellen Austausch haben oder welche Chancen Open Educational Resources bieten. In Workshops werden außerdem neue Formen aktiver Filmarbeit mit digitalen Medien sowie Vermittlungsansätze für den Umgang mit Dokumentarfilmen im Unterricht vorgestellt – www.visionkino.de
In seinem wunderbaren Buch Kino als Kunst widmet sich Alain Bergala theoretisch reflektiert und praxisnah der Frage, wie das Medium Film im Schulunterricht eingesetzt werden kann, um Kinder von klein auf für das Kino zu begeistern und zu einem kompetenten Publikum mit vielfältiger ästhetischer Erfahrung heranzubilden. Er greift dabei auf sein umfassendes filmhistorisches Wissen sowie seine Erfahrungen aus der Film- und Lehrpraxis und der Bildungspolitik zurück. Das Buch, erschienen beim Schüren-Verlag, kann auch über die Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung bezogen werden – www.bpb.de.
2003 erschien bei der Bundeszentrale für politische Bildung auch Der Filmkanon, eine von ExperInnen getroffene Auswahl von Filmen, die „man kennen sollte“. Mit dem Kanon von 35 Filmen sollten die verantwortlichen BildungspolitikerInnen und interessierten PädagogInnen zu einer konstruktiven Diskussion um ein filmschulisches Kerncurriculum eingeladen werden. Dieser Filmkanon sollte als repräsentative Basis für die Auseinandersetzung mit dem Medium Film in den Schulen dienen. Neben dem Klassiker des japanischen Regisseurs Akira Kurosawa Rashomon ist der Film Wo ist das Haus meines Freundes? des Iraners Abbas Kiarostami der einzige Film eines außereuropäischen/außer-us-amerikanischen Filmschaffenden.
Die großen Werke afrikanischer, asiatischer und lateinamerikanischer Filmschaffender spielen also kaum eine Rolle, auch wenn ihre Erzählungen universellen Charakter haben und andere kulturelle Kontexte vermitteln – und für das Globale Lernen zum Erfahren einer wichtigen Kernkompetenz, nämlich des Perspektivenwechsels, betragen können.
Das Eröffnungsprogramm der Schulkinowochen Baden-Württemberg 2014 wurde mit dem Film Die Piroge des senegalesischen Filmemachers Moussa Touré (Frankreich, Senegal 2012, 87 min.) gestaltet. Im Gespräch mit dem Verleiher und Vertretern von Flüchtlingsorganisationen wurde das Thema des Films vertieft. Darin wird die Geschichte einer Gruppe von Senegalesen erzählt, die ihr Land auf einem eigentlich für das offene Meer ungeeignetem Fischerboot – einer Piroge – in Richtung Europa verlassen. Am Rande eines Ringwettkampfs werden die Bedingungen für die Überfahrt zu den Kanarischen Inseln verhandelt. Als Kapitän soll Baye Laye angeheuert werden. Er soll die Verantwortung für die 30 Männer übernehmen, die sich auf den Weg nach Europa machen wollen. Während er zögert, will sein Bruder Abou unbedingt weg, um in Frankreich eine Karriere als Musiker zu beginnen. Schließlich lässt sich Baye Laye überreden, das Kommando zu übernehmen, wenn auch nur, um seinen unerfahrenen jüngeren Bruder vor dem sicheren Tod zu bewahren. Lansana, der Schlepper, vertröstet schon seit Tagen eine Gruppe von Fulbe, die zunehmend ungeduldig auf die versprochene Abfahrt warten. Nun kommen zehn weitere Männer aus Guinea hinzu, die sich jedoch nur über einen Dolmetscher mit den Fulbe verständigen können und zum Teil noch nie zuvor das Meer gesehen haben. Verstärkt durch einige Männer aus Dakar, ist die Gruppe groß genug, um in See zu stechen. Nur Kapitän Baye Laye weiß, wie gefährlich die Überfahrt wirklich ist. Nicht wenige Pirogen sind von der Strömung in die Weiten des Atlantischen Ozeans getrieben worden und haben ihr Ziel nie erreicht. Schon bald nachdem das Schiff abgelegt hat, macht Lansana einen blinden Passagier ausfindig, Nafi Talla, eine Frau, der es geglückt ist, sich an Bord zu schmuggeln. Für manche der Männer scheint dies ein böses Omen zu sein und Lansana droht damit, sie über Bord zu werfen. Doch Kaba erklärt sich bereit, für sie zu bürgen. Während einige der jüngeren Männer von einer Karriere als Fußballer oder Musiker träumen, erwarten sich einige der Älteren ein Auskommen auf einer spanischen Gemüseplantage zu finden. Und so nimmt die Piroge ihre Reise auf. Erscheint sie zunächst groß und gut ausgerüstet, ist sie bald nur noch ein winziger Punkt in den Weiten des Ozeans.
Anregungen dafür, welche Rolle Spiel- und Dokumentarfilme aus Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas im Sprachunterricht spielen können – und damit auch in der Filmbildung für Globales Lernen – finden Sie unter dem Titel Globales Lernen im Sprachunterricht auf dieser Seite.
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