Internationales Jahr der indigenen Sprachen 2019

Um auf die Gefährdung indigener Sprachen aufmerksam zu machen, haben die Vereinten Nationen 2019 zum „Internationalen Jahr der indigenen Sprachen“ erklärt. Das Jahr soll zeigen, wie wichtig der Schutz, die Wiederbelebung und Förderung dieser Sprachen für eine nachhaltige Entwicklung sind.
Da passt es gut, dass der kenianische Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Ngũgĩ wa Thiong’o im Mai 2019 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück erhält. Die Preisverleihung findet im November 2019 statt. Ausgezeichnet wurde er vor allem im Hinblick auf seine aufklärerischen antikolonialistischen Themen, seinen Bezug auf traditionelle afrikanische Theater- und Erzählkunst sowie für sein Eintreten für den Erhalt der Muttersprache als Identifikationsmerkmal. Er selbst schreibt in seiner Muttersprache Kikuyu.

Wie viele indigene Völker es weltweit gibt, lässt sich nicht genau ermitteln. Die Vereinten Nationen schätzen, dass weltweit 370 Millionen Indigene mit 5.000 verschiedenen Kulturen in etwa 90 Staaten leben. Sie machen fünf Prozent der Weltbevölkerung aus. Von den 7.000 gesprochenen Sprachen weltweit werden mehr als 4.000 von indigenen Völkern gesprochen.

Die mit Abstand größte Gruppe besteht aus über 100 Millionen in Indien lebenden Adivasi, eine Sammelbezeichnung für verschiedene indigene Völker – dies geht aus einer Volkszählung in Indien aus dem Jahr 2011 hervor. Ihnen widmet sich der Film „Millions can Walk – Marsch für Gerechtigkeit“ von Christoph Schaub und Kamal Musale (Schweiz 2013, 88 Min.). Der Film begleitet den charismatischen Rajgopal, dem es gelungen ist, mit der von ihm gegründeten Organisation Ekta Parishad und etwa 12.000 Helferinnen und Helfern die Ärmsten Indiens über die Möglichkeiten des Widerstandes gegen Ausbeutung und Unterdrückung aufzuzeigen. Ekta Parishad wurde 1991 als indische soziale Basisbewegung mit dem Ziel gegründet, nach den Prinzipien der Gewaltlosigkeit Gandhis für die Rechte der unterdrückten Landbevölkerung zu kämpfen. 2012 machten sich 10.000e in einem Protestmarsch von Gwalior ins 400 km entfernte Delhi auf den Weg, um unter anderem ihrer Forderung, Landtitel an Landlose zu vergeben, Nachdruck zu verleihen. Der Schweizer Regisseur Christoph Schaub wollte, angeregt unter anderem durch die friedlichen Revolutionen im arabischen Raum, den gewaltlosen Widerstand der indischen Bauern und den Kampf um ihre Rechte dokumentieren. Als jedoch die Dreharbeiten beginnen sollten, wurde ihm von den indischen Behörden ohne Begründung die Einreise verweigert, trotz eines gültigen Visums. Die Aufnahmen wurden dem schweizerisch-indischen Filmemacher Kamal Musale übergeben.

Das Recht auf Land und die Konfrontation mit großen internationalen Konzernen, die unsichere Rechtslagen zur Übernahme bestimmen viele Konflikte, mit denen Indigene konfrontiert sind. So auch in dem Film „La Buena Vida – das gute Leben“ von Jens Schanze (Deutschland 2015, 94 Min.). Die Lebensgrundlage der Wayúu, die im Norden Kolumbiens leben, wird durch den Kohleabbau in der Mine El-Cerrejón zerstört. Das gewaltige Loch, mit 700 Quadratkilometern der größte Kohletagebau der Welt, frisst sich immer tiefer in die einst unberührte Landschaft. Die Steinkohle wird in alle Welt exportiert. In Deutschland, England und Israel, in den Niederlanden, der Türkei, Japan und den USA produzieren die Kohlekraftwerke damit den Strom, der das Leben der Industrienationen am Laufen hält. Die Gemeinschaft, die von dem jungen Wayúu Jairo Fuentes organisiert wird, muss sich schließlich den mächtigen Interessen beuge. Auch der Protest vor der Schweizer Konzernzentrale kann ihre Umsiedlung nicht verhindern.

Auch der Spielfilm „Birdwatchers – Im Land der roten Menschen“ (Marco Bechis 2008, 108 Min.) greift das Thema Vertreibung und Landrechte auf, wenn auch unter gänzlich anderen Vorzeichen. Eine Gruppe brasilianischer Guarani-Kaiowá-Indianer kehrt den lebensunwürdigen Bedingungen ihres Reservates den Rücken, um ins Land ihrer Vorfahren zurückzukehren. Doch dort entdecken sie, dass der Urwald durch großflächige Rodung in Weideland umgewandelt wurde und ihre Landsleute für touristische Touren missbraucht werden. Zwischen den Indianern und den Großgrundbesitzern kommt es zu Spannungen. So bringt der sorgfältig recherchierte und mit indigenen Laiendarstellern inszenierte Film die schwierige Situation und die Bedrängnis indigener Völker zwischen Tradition und Anpassung an die Moderne in ihrer ganzen Ausweglosigkeit zum Ausdruck.

In dem Spielfilm „Und dann der Regen“ der spanischen Regisseurin Iscíar Bollaín (Mexiko, Spanien, Frankreich 2010, 104 Min.) geht es um ein Filmprojekt des jungen Sebastián, der sich mit den Anfängen der Kolonialzeit in Lateinamerika befassen will. Die Crew will einen Film über die Vergangenheit drehen und landen unverhofft mitten in der Gegenwart, als sich im bolivianischen Cochabamba der Widerstand gegen die Privatisierung der Wasserversorgung formiert und sich der Hauptdarsteller des Film als einer der Anführer herausstellt und damit das Filmprojekt gefährdet.

Die 17-jährige María will nicht in den ärmlichen Verhältnissen des guatemaltekischen Hochlandes bleiben. Sie lässt sich auf die Versprechungen des Kaffeepflückers Pepe ein, der sie in die USA mitnehmen will. Doch als sie schwanger ist, ist er verschwunden. Jetzt ist sie auf ihre Familie angewiesen und erfährt die Maya-Kultur neu. Jayro Bustamate sagt zu seinem Spielfilm „Ixcanul“ (Guatemala 2015, 91 Min.): „Ixcanul bedeutet in der Maya-Sprache Vulkan. Eine sehr bildhafte Sprache, die drei verschiedene Wörter für Vulkan kennt, weil sich die Maya nicht gerne wiederholen. Ixcanul ist ein Wort aus dem Cakchiquel, das so viel bedeutet wie: Die Kraft, die im Innern des Berges brodelt und hinaus will. Ich verbrachte meine Kindheit im guatemaltekischen Hochland, wo das Maya-Volk lebt und Vulkane die Landschaft dominieren. Als Kind begleitete ich meine Mutter auf medizinischen Kampagnen durch das Hochland, wenn sie niemanden fand, der auf mich aufpasste. Wir besuchten viele Maya-Familien, die abgeschieden lebten und aufgrund der Geschichte ihres Volkes großes Misstrauen gegenüber den Weißen, die eigentlich Mestizen sind, hegten.“ Der Film der in Cakchiquel und Spanisch gedreht wurde, wurde bei der Berlinale 2015 mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Ausgehend von der Prophezeiung der Maya vom Untergang der Welt beschäftigt sich der Film „Herz des Himmels – Herd der Erde“ von Frauke Sandig, Eric Black (Deutschland, Mexiko, Guatemala 2011, 88 Min.) tiefgehender mit den Lebensumständen der etwa neun Millionen Maya im Süden Mexikos und in Guatemala. Sie sehen ihre Kultur und ihren Lebensraum vor allem durch eine ungehindert fortschreitende Ausplünderung der Erde bedroht. Im Mittelpunkt des Films stehen sechs junge Maya, unter ihnen ein Schamane, der die Tradition seiner Familie fortführt, eine junge Frau, die versucht, die Gewalt und den Rassismus, den ihre Familie erlebt hat, zu überwinden, und eine Frau, die als Kind mit ihrer Familie vor den Massakern in Guatemala nach Mexiko geflohen ist und jetzt eine Reise mit ihrer Tochter zurück in die alte Heimat macht. Ihre Leben und Erfahrungen spiegeln die gesellschaftlichen Umbrüche, denen sich die Maya heute gegenübersehen.

Einen erschütternden Teil der Geschichte der australischen Aboriginies greift der Spielfilm „Long Walk Home“ von Philipp Noyce (Australien 2002, 94 Min.) auf. Der auf wahren Ereignissen aus den 1930er Jahren basierende Film erzählt von dem Mädchen Molly, das mit anderen Kindern aus einem Erziehungsheim flieht, um zu ihrer Mutter zurückzukehren. Weil sie „Mischlinge“ sind, hat die Regierung das Recht, die Kinder von ihren Müttern zu trennen und in gefängnisartigen Erziehungslager zu englisch sprechenden Hausangestellten und Arbeitern für die weiße Gesellschaft zu erziehen. Als Richtung für die 2.000 km lange Flucht dient der sogenannte Rabbit-Proof Fence, der quer durch Australien errichtet wurde, um den einen Teil des Landes vor der Hasenplage im anderen Teil zu schützen. Der Film, so heißt es in der Filmbeschreibung des BJF „schneidet ein düsteres Kapitel der australischen Rassenpolitik an, von dem nicht viel gesprochen wird. Schwer zu glauben, dass diese Politik bis ins Jahr 1971 verfolgt wurde. Wer sich diesen Film anschaut sollte nicht vergessen, dass auch heute noch Tausende von Kindern von ihren Eltern getrennt werden und als Arbeiter und Prostituierte körperlich und geistig ausgebeutet werden.“

Auch Warwick Thornton greift in seinem Film „Sweet Country“ (Australien 2017, 113 Min.) auf ein historisches Thema der 1920er Jahre zurück, um Rassismus und Ausbeutung der Aboriginies darzustellen. Sam Kelly, ein Aborigine, arbeitet für den Prediger Fred Smith. Als Harry Marsh von der Westfront zurückkehrt und eine Rinderfarm übernimmt, soll Sam einen Vorposten renovieren. Doch Harry entpuppt sich als ein kranker und verbitterter Mann, seine Beziehung zu Sam eskaliert schnell. Während einer heftigen Schießerei tötet Sam den weißen Farmer, um sein eigenes Leben zu retten. So wird Sam zum Mörder an einem weißen Mann und sieht sich gezwungen, mit seiner schwangeren Frau in das lebensfeindliche Outback zu fliehen. Eine von Sergeant Fletcher geleitete Gruppe versucht, sie aufzuspüren, doch dem klugen und erfahrenen Mann gelingt es immer wieder, seine Fährte zu verwischen. Als die Gesundheit seiner schwangeren Frau in Gefahr ist, gibt Sam jedoch auf. In der Stadt wird ihm der Prozess gemacht, doch im Verlauf des Verfahrens kommt die Wahrheit über Harrys Tod ans Licht. Der Film wurde bei Internationale Filmfestspielen von Venedig 2017 mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet. http://grandfilm.de/sweet-country/
Startfoto aus dem Film: Long Walk Home