UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft 2015-2024
Der Mord an dem Afroamerikaner George Floyd in den USA durch einen weißen Polizisten hat erneut und mit großer Vehemenz den Rassismus, die Vorurteile und Diskriminierung, der Menschen afrikanischer Herkunft noch immer ausgesetzt sind – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Im Dezember 2014 wurde von der UN-Generalversammlung die „Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft“ (2015 – 2024) ausgerufen, um Staaten einen operationellen Rahmen zu geben, Maßnahmen und Gegenentwürfe zu entwickeln.
(Foto: James Baldwin aus dem Film „I am Not Your Negro)
„I am not Your Negro“: Der Titel des Films von Raoul Peck (Frankreich, USA, Belgien, Schweiz 2017, 95 Min.) klingt wie ein Aufschrei. Über ein Textfragment des amerikanischen Schriftstellers James Baldwin spannt der Oscar-nominierte Dokumentarfilm den Bogen von der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 60er Jahre bis zur Black-Lives-Matter-Bewegung der Jetztzeit. Der unveränderte Text wird um Archivaufnahmen von Reden des Schriftstellers und verschiedene Ausschnitte aus TV-Sendungen, Filmen und Nachrichtenbeiträgen ergänzt. Aus Baldwins Sicht schildert der Film die Ermordung der afroamerikanischen Bürgerrechtler Malcolm X, Martin Luther King und Medgar Evers, mit denen Baldwin befreundet war. Der Film befasst sich darüber hinaus mit grundsätzlichen Fragen afroamerikanischer Identität. Eindrücklich zeichnet er einen wichtigen Teil in der Geschichte der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung nach und thematisiert über den Text Baldwins die unterschiedliche öffentliche Wahrnehmung ihrer prägendsten Figuren.
„I am not your Negro“ gilt als ein Meisterwerk des jüngeren politischen Kinos. Er ist einerseits eine eindrückliche Analyse der Repräsentation von Afro-Amerikanern in der US-Kulturgeschichte und versteht es andererseits über eine kraftvolle visuelle Sprache die Aktualität von Themen wie institutionellem oder Alltagsrassismus herauszustellen. Der Film ist in der Mediathek der Bundeszentrale für politische Bildung abrufbar.
Im Kinofenster gibt es außerdem ein Arbeitsblatt zum Film.
Regisseur Raoul Peck: „Ich komme aus einem Land mit einer starken Identität, das kämpfte und gegen die mächtigste Armee der Welt (die Napoleons) gewann und, was historisch einmalig ist, die Sklaverei beendete, indem es 1804 die erste erfolgreiche Sklavenrevolution der Welt durchführte.
Ich spreche von Haiti, das erste freie Land in den Amerikas. Haitianer kannten immer die wahre Geschichte. Und sie wussten, dass die vorherrschende Erzählung nicht die wahre Erzählung ist.
Die erfolgreiche Haitianische Revolution wurde von der Geschichte ignoriert (Baldwin hätte gesagt: weil wir so schlechte „Nigger“ waren), weil es ein ganz anderes Narrativ eingeführt hätte, das die dominante Erzählung über die Sklaverei als unhaltbar dargestellt hätte. Die kolonialen Eroberungen des späten 19. Jahrhunderts wären ideologisch unmöglich gewesen, wenn ihnen ihre zivilisatorische Rechtfertigung entzogen worden wäre. Und diese Rechtfertigung wäre nicht länger nötig, wenn die ganze Welt wüsste, dass diese „wilden“ Afrikaner schon vor über einem Jahrhundert ihre machtvollen Armeen vernichtet hatte (besonders die Französische und die Britische). Was die damaligen vier Supermächte in außergewöhnlich friedlichem Konsens taten war, Haiti, die erste schwarze Republik, abzuriegeln, ein striktes Wirtschaftsembargo zu verhängen und es in die Knie zu zwingen und dem Vergessen und Armut zu überlassen.
Und dann haben sie die Geschichte umgeschrieben …“ Raoul Peck über seinen Film bei Edition Salzgeber
Raoul Peck hat sich in mehreren seinen Filmen mit der Situation in Haiti auseinandergesetzt und die Folgen des Erdbebens von 2010 in Dokumentar- („Tödliche Hilfe“) und („Mord in Pacot“) auseinandergesetzt. In seinem Spielfilm „Lumumba“ rekonstruiert er das Schicksal des ersten kongolesischen Premierministers Patrice Lumumbas und seiner Rolle im Prozess der Dekolonisierung Afrikas, die von politischen Intrigen begleitet waren und mit seiner Ermordung endete.
Auf einer Vorlage von James Baldwin basiert auch der Film des afroamerikanischen Filmemachers Berry Jenskins. „Beal Street“ (USA 2018, 117 Min.) spielt in im Harlem der 1970er Jahre und erzählt die Liebsgeschichte von Fonny und Tish. Als Fonny fälschlicherweise beschuldigt wird, eine puertoricanische Haushälterin umgebracht zu haben wird er zu sechs Jahren Gefängis verurteilt, ohne Chance, das Missverständnis aufzuklären. Als Inspiration für seinen Roman diente Baldwin der Fall seines Freundes Tony Maynard, der eines Mordes angeklagt wurde, den er nicht begangen hatte, und sechs Jahre im Gefängnis verbringen musste. Baldwin war der Überzeugung, dass das US-Gefängnissystem in gewisser Hinsicht eine Fortsetzung der Sklaverei mit anderen Mitteln darstellt.
Berry Jenkins vorheriger Film „Moonlight“, in dem es um einen jungen schwulen Afroamerikaner im Bandenmilieu eines Armenviertels von Miami durchlagen muss, wurde bei der Oscarverleihung 2017 als bester Film ausgezeichnet. Bezug beider Filme bei Filmsortiment.
Vision Kino hat Filmempfehlungen zum Themenfeld „Black Lives Matter“ zusammengestellt:
Der darin empfohlene Film „Harriet – der Weg in die Freiheit“ (USA 2019, 126 Min.) startet am 09.07.2020 im Kino. Kasi Lemmons erzählt in ihrem Film die außergewöhnliche, auf Tatsachen beruhende Lebensgeschichte von Harriet Tubman, die sich nach ihrer Flucht aus der Sklaverei selbst Hunderte von Sklaven befreite. Bei uns weitgehend unbekannt, zählt sie in den USA zu den bekanntesten Persönlichkeiten im Kampf gegen Ungerechtigkeit und um Gleichberechtigung.
Der Geschichte der Sklaverei geht auch Haile Gerima in seinem Film „Sankofa“ (Deutschland, Äthiopien, Ghana 1993, 125 Min.) nach. Die Afroamerikanerin Mona wird während Modeaufnahmen im dem einstigen Sklavenfort Elmina in Ghana von der Vergangenheit überrascht und findet sich als Sklavin auf einer Zuckerrohrplantage in Jamaica wieder. Haile Gerima untersucht mit seinem Film das System der Sklavenwirtschaft, analysiert die Mechanismen, mit denen das System aufrechterhalten wird, und beschreibt, wie sich im Untergrund der Widerstand der Schwarzen formiert. In diesem Widerstand – dies ist die Botschaft für die Gegenwart – liegen die Wurzeln der heutigen afro-amerikanischen Kultur.
Haile Gerima zählt zu einer Gruppe von FilmemacherInnen, die L.A. Rebellion genannt wurden, weil sie rund um die UCLA School of Theater, Film and Television entstanden sind. Zu der Gruppe gehörten auch Charles Burnett und Julie Dash, die erste afroamerikanische Filmemacherin. Die L.A. Rebellion sucht in den 70er Jahren im Nachgang der Civil-Rights-Bewegung und in Abgrenzung zur dominierenden Bilderproduktion und in Auseinandersetzungen mit den Dritten Kinos der Dekolonisation nach neuen Wegen, Bilder zu schaffen, die die komplexen Realitäten, die sie umgeben, zeigen.
Spike Lee gehört zu den bekanntesten Protagonisten und Mitbegründern des New Black Cinema der 1980 er Jahre, in deren Nachfolge sich FilmemacherInnen der afroamerikanischen Erzählung widmen. Bekannt wurde er mit Filmen wie „Do the Right Thing“, „Malcom X“ und dem 2018 erschienen Film „BlacKkKlansman“ (Bezug: Filmsortiment). Sein letzter Film „Da 5 Bloods“ (USA 2020, 154 Min.) erschien gerade bei Netfix. Erzählt wird die Geschichte von vier afroamerikanischen US-Soldaten, die den Vietnamkrieg überlebt haben und sich in Vietnam auf die Suche nach dem Leichnam ihres gefallenen Truppenführers – und einigen Barren Gold, das sie ebenfalls dort begraben hatten. „Der Film ist eine verwegene, man könnte auch sagen krude Mischung aus Kriegsfilm, antirassistischem Pamphlet, Buddy-Movie und ‚Jäger des verlorenen Schatzes‘. Die älteren schwarzen Schauspieler spielen ihre Figuren auch in den Rückblenden so, als löse sich jede Zeitlichkeit auf. ‚Wir wurden in einen unmoralischen Krieg gezwungen, der nicht der unsere war‘ heißt es zur gereckten Black-Panther-Faust. Donald Trump wird als Ku-Klux-Klan-Mann im Weißen Haus tituliert und Jean Reno spaziert als Nachkomme französischer Kolonisatoren im weißen Anzug und mit ‚Make-America-Great-Again‘-Mütze durch den Dschungel. Vielleicht braucht es wahnsinnige Bilder und entgrenzte Erzählungen, um angesichts der Verhältnisse nicht wahnsinnig zu werden“ (Katja Nicodemus in Die Zeit vom 10.06.2020).
Die fatalen Folgen des Kolonialismus sind immer auch Teil der Filme von Jean Marie Teno. In seinem Film „Das koloniale Missverständnis“ (Deutschland, Frankreich, Kamerun 2004, 78 Min.) begibt er sich auf die Spuren der Rheinischen Missionsgesellschaft nach Südafrika, Namibia, Kamerun und Togo und zeigt, wie eng der Missionsgedanke und die Kolonialpolitik miteinander verbunden waren: „Die Flinte und die Bibel müssen hier miteinander wirken“.
Peter Heller befasst sich in seinem Film „Kolonialmama – Eine Reise in die Gegenwart der Vergangenheit“ mit seiner eigenen Geschichte, indem er sich auf die Suche nach der kolonialen Vergangenheit seiner eigenen Familie macht. Der Filmemacher, der sich schon früh intensiv mit verschiedenen Aspekten der deutschen Kolonialzeit auseinandersetzte, gibt durch die Gespräche mit seiner betagten Mutter und die Erinnerungen an den Großvater, der Kolonialbeamter in Namibia war, den historischen Fakten ein sehr persönliches Gesicht.
In seinem neuen Film „Verkaufte Götter“ schlägt Peter Heller ein anderes Kapitel der kolonialen Vergangenheit auf. Alte Kunst aus Afrika fasziniert und wurde zu einem weltweiten Sammelgut – aber auch zum Spekulationsobjekt. Museen außerhalb Afrikas beherbergen umfangreiche Sammlungen mit Objekten, in Afrika selbst befinden sich aber nur noch wenige alte Kulturgüter. Die Preise auf den Kunstmärkten boomten lange Zeit in ungeahnte Höhen. Jetzt kommt dieser Markt zum Erliegen, wodurch auch in Afrika zahllose Arbeitsplätze bedroht sind. MuseumsleiterInnen müssen sich für ihre Schätze aus Afrika rechtfertigen. Entfacht ist eine hitzige Debatte um Rückführung von Objekten. Im Film kommen Händler in Westafrika und Sammler in Europa, auf Auktionen und in Museen in Basel und Bamako, Brüssel und Paris, München und Berlin zu Wort. Weitere Information unter: www.filmkraft.de
Die Kompilations-DVD „Respekt statt Rassismus – Vorurteile überwinden. Diskriminierung vermeiden. Menschenrechte fördern“ enthält neun kurze Filme, die sich filmisch ganz unterschiedlich mit einem aufmerksamen Miteinander im Alltag befassen und jeweils einen anderen Aspekt in den Mittelpunkt stellen. So stellt „The Cookie Thief“ die verworrenen Ängste einer jungen Frau in den Mittelpunkt, die neben einem fremdländisch aussehenden Mann am Flughafen auf ihren Abflug wartet. „Angst isst Seele auf“ erzählt ebenfalls als Kurzspielfilm von einem farbigen Schauspieler, der auf dem Weg zum Theater von einer Gruppe Skinheads zusammengeschlagen wird. Mit mühe schafft er es zum Auftritt in dem Stück „Angst essen Seele“ auf von Rainer Werner Fassbinder – das genau diese Fragen behandelt.
Die DVD „Bilder im Kopf – Klischees, Vorurteile, kulturelle Konflikte“ besteht aus sechs kurzen Filmen, die ebenfalls den alltäglichen Rassismus ins Bild rücken. „Hiyab“ erzählt von einem muslimischen Mädchen, das, neu in der Klasse, sich zum Tragen ihres Kopftuchs verhalten muss. „Parallelen“ ist die wortlose Gegenüberstellung von zwei Menschen unterschiedlicher Herkunft, die sich voller Aggression gegenseitig beobachten, um daheim sehr ähnliche Vorlieben zu pflegen.
Beide DVDs sind mit ausführlichem Begleitmaterial und Arbeitsblättern für den Unterricht ausgestattet.